Das Glück und das GLÜCK
Wer von uns hat nicht Momente des Glücks, die durch ein äußeres Ereignis ausgelöst werden? Das kann ein Naturerlebnis sein, eine beglückende Begegnung mit einem Menschen, aber auch etwas ganz "Banales", wie beispielsweise ein gutes Glas Wein oder das weltbeste Vanilleeis.
Diese Glücksmomente sind etwas Wunderbares. Das Leben kann in diesen Augenblicken so schön sein.
Und doch: die Sache hat einen Haken, wenn wir diesen Glücksmomenten mit einer Einstellung des Halten-Wollens begegnen. Wenn wir - und das ist eine Falle, die leider allzu leicht zuschnappt - unser Lebensglück an diese äußeren Erscheinungen anknüpfen. Dann schlägt nämlich die unentrinnbare und erbarmungslose Tatsache zu, dass alle Phänomene, die uns in unserem Leben begegnen, vergänglich sind.
Dass wir uns nicht mehr in der Natur befinden, sondern im Büroalltag.
Dass das Vanilleeis leider aus ist (und wer will in dieser Situation dann schon mit Schokoeis Vorlieb nehmen?).
Bei Phänomenen wie Zahnschmerzen oder unangenehm agierenden Zeitgenossen können wir mit der Vergänglichkeit ja noch umgehen - da verfallen wir in das andere Extrem - wir wollen das nicht haben, und können nicht glücklich sein, solange irgendetwas Bestimmtes der Fall ist.
In der buddhistischen Terminologie heißen diese Geisteszustände "Anhaftung" und "Ablehnung" und gelten als die grundlegenden Ursachen unseres Leidens.
Wenn wir also auf der Suche nach einem Glück sind, das stabil und dauerhaft ist, werden wir uns in einer Teufelsspirale bewegen, solange wir uns an alle angenehmen Phänomene festkrallen und vor allem, was uns nicht so angenehm ist, panikartig davonlaufen.
Dieses Glück werden wir in dieser Welt kaum finden und schon gar nicht halten können.
Wagen wir ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn es ein GLÜCK gäbe, das von den äußeren Phänomenen völlig unabhängig ist? (Um diesen Zustand von dem phänomenbasierten Alltagsglück zu unterscheiden, verwende ich dafür den Begriff GLÜCK in Großbuchstaben).
GLÜCK ist unabhängig von Glück. Es ist da, egal, ob wir Zahnweh haben, oder das Glück (!), gerade im Besitz des weltbesten Vanilleeises zu sein. Die Kunst besteht darin, sich soweit aus der Umklammerun unserer Konzepte von Glück zu lösen, dass das GLÜCK zum Vorschein kommen kann.
GLÜCK muss und kann nicht hergestellt werden. Es ist immer vorhanden, oder - wie die Buddhisten sagen - die wahre Natur unseres Geistes. Die Kunst besteht darin, dieses GLÜCK wahrnehmen zu können. Es hinter allen Oberflächenwellen auf dem Meer unseres Lebens als tiefe und wahrhaftige Ruhe zu spüren, die schon ein paar Zentimeter unter dieser Oberfläche beginnt (und diese in Wahrheit mit einschließt).
Genau hier beginnt der Weg. Dieser Weg wäre im Prinzip ganz einfach: Lass alles weg, was dich daran hindert, dieses Glück wahrzunehmen. Dass das in der Praxis aber meist alles andere als einfach ist, liegt daran, dass wir unseren Geist darauf trainiert haben, GLÜCK mit Glück zu verwechseln.
Eine Methode, das GLÜCK zu suchen, wäre Askese, also die völlige Abkehr von allem, was Glück verspricht. Die Geschichte der Spiritualität ist reich an asketischen Wegen. Meine Sache ist das allerdings nicht. Warum wäre denn das Leben mit so vielfältigen Phänomenen ausgestattet, wenn dann der einzige Sinn darin läge, sich von diesen Phänomenen abzuwenden?
Der tantrische Weg hat folgenden Vorschlag zu machen: Es gibt alle möglichen Arten von Phänomenen. Und es gibt unseren Geist, in dem all diese Phänomene auftauchen. Alles, was in unserem Geist auftaucht, ist eine Form von Energie. Diese Energie ist weder gut noch schlecht. Sie IST einfach, und du kannst sie nützen, mit ihr spielen und tanzen. Probleme tauchen erst dann auf, wenn du daran anhaftest, sie ablehnst - also allgemein gesprochen in eine Geisteshaltung der Bewertung verfällst.
Der Weg - und dieser Weg ist ein sehr anspruchsvoller, aber lohnender - besteht darin, sich immer wieder auf den Raum zu konzentrieren, in dem die Phänomene auftauchen. Sozusagen die Kinoleinwand zu sehen, auf der die Filme deines Lebens projiziert werden. Oder - ein klassisches tibetisches Bild - den Spiegel zu sehen, in dem sich alles spiegelt.
Das kann man üben. Und das schließt nicht aus, dass man Vanilleeis genießt und sich die Zähne putzt, um Zahnschmerzen zu vermeiden.
Dieser spirituelle Weg schließt alles ein, was dir in deinem Leben begegnet. Es ist ein fortwährender Tanz mit allem, was ist. Und in diesem Tanz werden GLÜCK und Glück oft eins.
