Leidest du eigentlich gerne?
Die Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe – mit Freunden, Klienten aber auch nicht in geringem Maß mit mir selbst – lassen mich zur Antwort JA tendieren.
Vor meinem inneren Ohr höre ich bereits grummeliges Murren und heftigen Protest, und mancher wird beim Lesen gar nicht bis zu dieser Stelle vordringen.
Denn das Leiden ist doch unzweifelhaft real. Mir tut der Zahn weh. Oder noch viel, viel Schlimmeres. Vielleicht ist es Krebs, vielleicht eine ernsthafte Erkrankung, die keine gute Prognose hat und mit großer Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in einen terminalen Zustand führen wird – und den Schmerz, die körperlichen, emotionalen und mentalen Zustände, die mit Erkrankungen verbunden sind, die sind da, und die sind auch nicht zu verharmlosen oder wegzureden.
Schmerz ist mit dem Leben untrennbar verbunden. Wer etwas anderes behauptet, ist ein unrettbarer Träumer oder Eso-Schwurbler und in diesen Chor einzustimmen, liegt mir tatsächlich fern.
Meiner Ansicht nach ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass „Schmerz“ und „Leid“ grundlegend voneinander unterschieden werden sollten. Schmerz ist eine körperliche Empfindung, die in vielen Fällen sinnvoll ist, weil sie als Signalgeber dient und uns die Möglichkeit gibt, etwas zu verändern, was unseren Körper sonst über kurz oder lang beschädigen oder gar zerstören würde. Es ist gut, dass die Hand auf der heißen Herdplatte weh tut, denn sonst würden wir uns vielleicht am guten Geruch von Gegrilltem erfreuen und wenig später mit Schrecken feststellen müssen, dass das Fleischstück, das wir dort unachtsam abgelegt hatten, nun leider nicht mehr als Greifwerkzeug zu gebrauchen ist.
Leid ist aber etwas ganz anderes. Leid ist die Interpretation (und da vor allem die nicht-akzeptierende Interpretation) und Reaktion auf den Schmerz.
Wenn es regnet, dann regnet es. Und daran können auch die verlockendsten Versprechungen á la „Du bist der Schöpfer deiner Welt“ nichts ändern. Glücklicherweise ist das so – denn wie würde die Welt denn funktionieren, wenn ein allmächtiges Schöpferwesen morgentlich beschließt, dass es jetzt Zeit für heiteren Sonnenschein wäre, und sein Nachbar sich gerade Regen „kreiert“, weil er sich das Gartengießen ersparen möchte. Kein Mensch von klarem Verstand wird annehmen, dass ein genau definiertes Privatregenwölkchen über dem Gärtlein erscheint und die Welt des anderen sonnenbestrahlt dahinstrahlt.
Natürlich können wir in Bezug auf Krankheiten eine Menge Einfluss auf unser Schicksal nehmen. Aber auch Nicht-Kettenraucher erkranken an Lungenkrebs. Seltener halt – aber doch. Und auch Menschen, die sich hauptsächlich von frisch gepresstem Selleriesaft ernähren, werden eines Tages sterben.
Bis zu einem gewissen Grad müssen wir also mit dem Gegebenen leben. Jedoch: wie wir das tun – das macht leidenstechnisch den entscheidenden Unterschied.
Ein wichtiger Punkt ist: Wo lenke ich meine Aufmerksamkeit hin? Welchen Raum gestehe ich den unterschiedlichen Phänomenen und Gegebenheiten zu, die in meinem Leben in jedem Augenblick erscheinen.
Symptome und Warnsignale verdrängen und ignorieren ist selbstverständlich kein guter Plan, das kann ich deswegen mit großer Sicherheit behaupten, weil ich diese unkluge Strategie selbst schon oft genug ausprobiert habe. Zu klein machen und in einem dunklen Eck abstellen ist es also definitiv nicht.
Aber es gibt auch das andere Extrem – und das erzeugt (mindestens!) eben so viel Leid. Diese Strategie besteht darin, mit dem grellen Scheinwerfer der Aufmerksamkeit auf jede kleinste Regung des Körpers zu schauen. Mit ängstlicher Fixierung jede minimale Veränderung der physikalisch messbaren Parameter des vermeintlichen Wohlergehens zu beobachten. 20-mal am Tag den Blutdruck zu messen – und idealerweise die Resultate auch noch in eine Excel-Tabelle eintragen. Es mag sein, dass es medizinische Indikationen gibt, in denen ein solches Vorgehen sinnvoll und angezeigt ist, aber das wird doch wahrscheinlich eher die Ausnahme als die Regel sein. Und immer und immer wieder die Gedanken um die körperliche Befindlichkeit rotieren lassen – am besten unablässig, denn wer gesund ist, der hat nur noch nicht lange genug gesucht.
Besonders anfällig für diese Störung sind logischerweise Ärzte, denn die haben einen riesengroßen Wissenspool, aus deren reichhaltiger Vielfalt sie ihre Gedankenkarusselle kreisen lassen können. Aber nur keinen Neid, wenn du kein Medizinstudium hinter dir hast. Da hilft Dr. Google, denn glücklicherweise lassen sich zu jedem auftretendem Symptom durch akribische, stundenlange Suche Erklärungsmodelle finden, die idealerweise in schrecklichen Horrorszenarien enden, in denen es sich vortrefflich leiden lässt.
Vortrefflich leiden? Ist denn Leid nicht etwas, wo jeder Mensch sagen wird: Das will ich ganz sicher nicht. Sagen werden das die meisten Menschen (spezifische Neigungen in diese Richtung ausgenommen), aber das Handeln zeigt, dass es offensichtlich auch eine Triebkraft hin zum Leid gibt. In gewisser Weise eine Lust am Leid (und das ist jetzt nicht sexuell konnotiert zu verstehen). Es gibt Menschen, denen ich als Berufsbild gerne die Empfehlung geben würde: Gib doch ein Hochglanzmagazin mit dem Titel „Schöner Leiden“ heraus.
Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass die meisten Menschen sehr bedacht darauf sind, sich durch ein konstantes Selbstbild mit wohldefinierten Eigenschaften ein Sicherheitsgefühl zu erschaffen, das ihnen erlaubt, genau zu wissen, wer sie sind – beziehungsweise sich die atemberaubende Unsicherheit zu ersparen, das im Grunde genommen nicht zu wissen.
Die eigene (in den meisten Fällen ja kunst- und mühevoll konstruierte) Geschichte kann dazu sehr gut herhalten, besonders dann, wenn sie mit Erzählungen von Opfer-Sein verknüpft ist. Wenn mir die Welt vieles antut, dann habe ich auf diese Weise wenigstens einen definierten Platz in diesem existenziell so unendlichen Unwissen, mit dem wir konfrontiert sind, wenn wir unser Leben nur mit den Mitteln des Verstandes ergründen wollen und mit dieser Strategie letztlich unausweichlich scheitern.
Geschichten über die Geschichte also. Und Krankheiten – die können dazu auch sehr dienlich sein.
Wie kommt man aber aus diesem Strudel wieder heraus?
Nicht verleugnen. Aber auch nicht hineinkriechen und das, was ist, übergroß machen.
Nicht in eine eindimensionale Betrachtungsweise verfallen, die den Blick so einengt, dass die ganz Welt nur mehr aus einem Phänomen besteht, sondern sich um Multiperspektivität bemühen.
Das sagt (beziehungsweise schreibt) sich so leicht.
Ist es aber nicht. Einen Kippschalter, mit deren Hilfe man diese Lebensmodi einfach umschalten kann, gibt es nicht. Oder falls doch, dann hat ihn unglücklicherweise noch niemand gefunden.
Was es gibt, ist aber sehr wohl ein plötzliches Umkippen dieser Perspektiven. So wie bei einem Vexierbild. Nur lässt sich das nicht willentlich produzieren. Aber die gute Nachricht ist: man kann sehr viel dazu tun, dass dieses Bild in einen ausgesprochen erfreulichen Lebensmodus kippt. Zuerst als sehr kippelige, unstabile Angelegenheit. Aber dann immer öfter und immer verlässlicher.
Eine hervorragende Quelle, aus der man dazu sehr viel sehr Fundiertes lesen kann: Die Bücher von Ken Wilber, dem Vordenker der „Integralen Philosophie“. Keine einfache Kost, zugegeben. Ein paar tausend Seiten und (wenigstens für mich) ein Projekt, das mich schon über Jahrzehnte begleitet. Wer darauf Lust hat: „Eros, Kosmos, Logos“ ist ein hervorragender Einstieg in die Wilbersche Gedankenwelt.
Aber wenn das gerade nicht in denen Lebensentwurf passt (weil das schon viele, viele Stunden Zeit in Anspruch nimmt), dann lade ich dich gerne ein, meinen Impulsen zu folgen. Die kommen aus dieser integralen, multiperspektivischen Gedankenwelt. Und sind – da bin ich restlos davon überzeugt - praxis- und lebensnah auch in deinem Alltag umzusetzen.
Dazu fallen mir die 4 Schritte zur Liebe ein, von Osho. Mein Einstieg in die Osho-Welt war ein Buch, das ich von einem sehr wichtigen und lieben Menschen in einer für mich wichtigsten Phase meines Lebens geborgt bekommen habe 💖💖💖
Ein Schritt davon ist: teile Positives und behalte das Negative für dich 🙏
DANKE 💖💖💖 Maximilian!